Bernhard Schreiner
25.09.2025 – 01.11.2025
Mosaic Evolution
Kai Middendorff Galerie
Da ist immer genug Licht, um das Dunkel zu sehen. Ein vollendetes Dunkel wäre keines.
(Marcus Steinweg, 2025)
Das Dunkel und der Klang haben einiges gemeinsam: Sie hüllen uns ein, sie sind überall und nichts zugleich, sie sind nicht fassbar, nicht stofflich. Zum Dunkel wie zum Klang fühle ich mich hingezogen. (In beiden kann man nicht ganz verschwinden und ist man nicht komplett verloren). Nun ginge es mir auch darum, dem Stofflichen, der Welt der Dinge, etwas abzuringen, das wie das Dunkel, wie der Klang sein kann.
Mosaic Evolution fügt Arbeiten, Prozesse und Klänge aus unterschiedlichen Zeiten zu einer Installation zusammen. Wie es bereits im Pressetext der Ausstellung Patch Sprawl (FOX, Wien, 2024) hieß: Ein durch die Schwerkraft des Interesses zusammengehaltenes Konvolut. Wucherungen durch Material, Materie und Vorstellung der letzten dreizehn Jahre. Neben neuen, älteren und transformierten Werken, sind auch eine Neufassung der Tisch-Installation The difference between things in time and time in things (NIZZA, Berlin, 2024) zu sehen sowie kollaborative Arbeiten mit dem Künstler und Musiker LeRoy Stevens, Los Angeles (Weiterentwicklungen des zentralen Themas aus The closer you look, the better we look, EL-Project, Berlin, 2023).
Mosaic Evolution
(or modular evolution) is the concept, that evolutionary change takes place in some parts orsystems – without simultaneous changes in other parts. Another definition is the “evolution of characters at various rates both within and between artworks”.I get to keep what nobody needs. Das mache ich gefühlt schon immer, kaputte Gläser aufheben, zerbrochene Teller ebenso! –nicht unbedingt, um sie im herkömmlichen, westlichen Sinne, als exakte Reproduktionen zu reparieren. Der ganze Absatz aber geht so:
Nothing is ever alike. The best thing is the difference. I get to keep what nobody needs. Diane Arbus hat das geschrieben, 1971 – es ist großartig!
Was braucht man? Fast nichts? Je weniger, desto besser? Im Gegenteil: Weil nichts niemals das gleiche bleibt und weil gerade die Differenz das Beste ist, braucht es viele Dinge: gesammelte, veränderte, vergessene, verlorene, wiedergefundene, archivierte, neue, alte, nie gezeigte, bereits gezeigte … – um immer wieder neue Verhältnisse zu schaffen und um erneut zu zeigen (auch denen, die für das Praktische sind), was vermeintlich niemand braucht! Dass die mosaikhafte „Evolution“ einer Arbeit, als auch die zwischen einzelnen Werken, stattfindet, dass sie linearen Zeitverläufen auf seltsame Art kaum unterworfen zu sein scheint bzw. diese weniger interessant sind (John Latham’s „Time-Base Theory“ kommt mir in den Sinn), das kann in dieser Ausstellung eventuell nachvollzogen werden. Hinter oder in den ausgestellten Objekten verstecken sich „Events“. Etwas, gewiss so einiges, ist ihnen (mit ihnen) passiert. Selbstverständlich transformieren wir sie und uns selbst auch in diesem Moment, wie wir auch eine Vorstellung ihrer und unserer eigenen zukünftigen Verfasstheit entwerfen können. Sollten wir uns mit Objekten nur deshalb beschäftigen, weil sie über Ereignisse berichten?
Wenn bestimmte Pflanzensamen eintausend Jahre lang keimfähig bleiben und Glas keinen Schmelzpunkt besitzt, weil es (unter Temperatureinfluss) kontinuierlich weicher, flüssiger oder fester wird – liegt es dann vielleicht nahe, unsere Aufmerksamkeit nicht vorrangig Gegenständen (oder kleinsten Teilchen im Universum) zu widmen, sondern Prozessen und Events? Was wir nicht sehen und nicht fassen (aber erfahren und vielleicht erahnen) können: Zeitlichkeit, Prozess, Wiederholung, unstoffliche Dinge – machen sie die Welt paradoxerweise „fassbarer“, als es die Dingwelt zu tun vermag? Klang zum Beispiel, der veränderlich ist und vergeht, wie er in der Tisch-Installation The difference between things in time and time in things als generative Vier-Kanal-Live-Komposition zu hören ist, wäre solch eine Ansammlung von Prozessen, die nicht greifbar sind, die niemals sichtbar werden. Dieser modulare Synthesizer-Patch, der minimale Schwankungen des gemessenen Wiederstandes im induzierten elektrischen Feld von Pflanzen oder Pilzen zum Ausgangspunkt nimmt, ist gewissermaßen vorhersehbar und zugleich auch nicht, eine Schwelle, eine Welt des Dazwischen tut sich auf, zwischen konstruierter Gegenwart, unscharfer Erinnerung und (un)möglicher Zukunft. Daraus ergibt sich eine weitere Assoziation: The magnetism of knowing and not knowing. LeRoy Stevens hat das gesagt, über die für mich fassbaren/kontrollierbaren und die (zugleich) unfassbaren, zufallsgesteuerten, schwer zu kontrollierenden Vorgänge in meinen akustischen Arbeiten, vor allem in konzertanten Live-Sets. Dieser Magnetismus, diese ebenfalls nicht im objekthaften verankerte Kraft ist in allen versammelten Arbeiten vorhanden: Kontrolle und Zufall, Genauigkeit und Loslassen, Können und Unvermögen, Wissen und Unwissenheit …
Ist es Objekten ebenfalls möglich (beim Klang scheint es klar zu sein: This possibility – that sound is nothing – is characteristic of sound, perplexing, disturbing, yet dangerously seductive, David Toop, 2010) uns zumindest manchmal in die Lage zu versetzten „Geistern“ zu folgen? Die Welt der Objekte ob der Objekte zu verlassen, in der Realität zu schwimmen, wie in einer Klangsuppe, ohne festen Halt!? Oder sind wir selbst die Geister? Singularitätenhaufen. Eine Wolke unkontrollierbarer Wahrscheinlichkeiten. Ein atmendes, durch nichts zu rechtfertigendes Nichts. – ? (Markus Steinweg, 2025)
In dieser Ausstellung sind wir unter uns, was auch immer wir sein mögen! Fragen (an uns selbst, an die Kunst) müssen hier nicht zwangsläufig beantwortet werden. Wir betrachten Ereignisse (und deren zu Objekten gefrorene Formbehauptungen), wir hören ihnen zu, wir atmen – immerhin!
It’s what I’ve never seen before that I recognize. (Diane Arbus, April 1, 1971)
Vernissage: 25. September, 19-21 Uhr
Kai Middendorff Galerie
Niddastaße 84 Halle
60329 Frankfurt
T. +49 (0) 69 743 090 35